BUND-Landesverband Schleswig-Holstein e.V.

Elektroautos als Stromspeicher zur Netzstabilisierung?

Immer wieder sind Befürchtungen zu hören, dass erheblicher zusätzlicher Strombedarf zu decken ist, wenn größere Zahlen von Elektroautos mit großen Akkus aufzuladen sind und dies womöglich die Stromnetze überlasten könnte.

Strombedarf

Das betrifft zum einen die bereitzustellende Strommenge. Da ist gelegentlich die Rede von Dutzenden, wahlweise Kohle- oder Atomkraftwerken, die neu zu bauen seien. So etwa im Bauernblatt vom 12. August 2017.

Dies ist aber leicht unter Einsatz der Grundrechenarten zu widerlegen:

  • Wieviel Strom verbraucht ein Batterie-elektrisches Elektroauto? Nehmen wir eine Jahresfahrleistung von 15.000 Kilometern und einen Verbrauch von 18 kWh/100 Kilometer einschließlich Ladeverlusten:
  • Jahresverbrauch eines Elektroautos: 15.000 km x 18 kWh/100 km = 2.700 kWh im Jahr (= 2,7 MWh).
  • Eine Million E-Autos benötigen demnach 2,7 TWh (Tera-Wattstunden).
  • Die Nettostromproduktion in Deutschland betrug 2017 550 TWh (38 Prozent davon aus erneuerbaren Energien).

2,7 TWh entsprechen 0,5 Prozent der deutschen Nettostromproduktion, das heißt, eine Million Elektroautos verbrauchen im Jahr 0,4 Prozent der deutschen Nettostromproduktion. Das ist viel weniger als die regelmäßig konjunkturell oder witterungsbedingt auftretenden Schwankungen.

10 Millionen E-Autos verbrauchen im Jahr 27 TWh. Das entspricht 5 Prozent der deutschen Nettostromproduktion. Selbst das liegt noch im Bereich üblicher jährlicher Schwankungen und würde weder neue Kraftwerke noch neue Leitungen erforderlich machen. Und selbst 40 Millionen E-Pkw benötigen nur 20 Prozent. Abzuziehen wäre die Einsparung der Energie für Förderung, Transport und Raffinierung des Erdöls zu Benzin beziehungsweise Diesel, die erheblich, aber schwer bezifferbar ist. Da sich der Umstieg auf Elektromobilität vermutlich auf über ein Jahrzehnt verteilt, wären zwar Anpassungen, aber keine ernsthaften Schwierigkeiten zu erwarten. 

Verfügbarkeit des Stroms

Zum anderen werden Sorgen geäußert hinsichtlich der Gleichzeitigkeit bei der Bereitstellung von elektrischer Energie. Dazu wird gern das folgende Szenario aufgezeigt: Wenn eine Million E-Autos zur selben Zeit mit je 22 kW laden, müsste das Netz 22 GW (Giga-Watt) bereitstellen. Damit wäre es zurzeit stark gefordert. Der elektrische Spitzen-Leistungsbedarf in Deutschland schwankt derzeit am Wochenende zwischen 20 (nachts) und 50 GW (tags), in der Woche zwischen 50 (nachts) und 90 GW (tags). Bei 10 Millionen E-Autos, die gleichzeitig mit 22 kW laden, würden jedoch 220 GW benötigt, was mehr als das Doppelte der aktuellen Tagesspitze wäre. 

Mal abgesehen davon, dass die meisten E-Autos zuhause gar nicht mit 22 kW laden können, sondern nur mit viel geringeren Leistungen und die, die es können, dies in der Praxis nicht alle gleichzeitig machen, lohnt es, sich Gedanken darüber zu machen, ob nicht die in der Summe sehr große Speicherkapazität der E-Autos weniger als Gefahr für die Netzstabilität anzusehen ist, sondern vielmehr als stabilisierender Faktor eingesetzt werden kann. 

Die WEMAG AG, ein Mecklenburger Netzbetreiber, Sitz Schwerin, hat seit 2017 einen Akkuspeicher mit einer Kapazität von 14,5 MWh in Betrieb, damals der größte Europas. Er kann eine Leistung von 10 MW abgeben und soll kurzfristige Nachfragespitzen ebenso wie Nachfragetäler „glätten“, also bei großer Stromnachfrage Strom abgeben und bei schwacher Nachfrage Strom aufnehmen und speichern. Da Strom bei großer Nachfrage teuer und bei geringer Nachfrage billig ist, kann sich so etwas rentieren. Als Baukosten für diesen Speicher wurden 11,9 Millionen Euro angegeben. 

Ein alternatives Szenario

In Deutschland sind zurzeit etwa 60.000 Batterie-elektrische Autos zugelassen (Mai 2018), Tendenz steigend mit 70 Prozent pro Jahr. Wenn ein Sechstel davon freiwillig die Hälfte ihrer Batterie-Kapazität dem Netzbetreiber zur Verfügung stellen würde – welche Kapazität wäre das?

Annahme: Gesamt-Kapazität eines Auto-Akkus: 40 kWh. Die Hälfte davon wird, soweit möglich, dem Netzbetreiber zur Verfügung gestellt. Das ist möglich, weil nicht ständig 40 kWh im Akku benötigt werden.

10.000 E-Autos à 20 kWh entsprechen 200.000 kWh = 200 MWh. Das ist knapp 14-mal soviel wie der Schweriner Speicher, der eine Kapazität von 14,5 MWh hat und immerhin 11,9 Millionen Euro gekostet hat.

Wie könnte das aussehen?

Wenn das Auto zuhause steht, wird es sofort an die private Ladestation angeschlossen und meldet sich automatisch beim Netzbetreiber an: Bereit! Der Fahrer gibt über eine App an, dass er zum Beispiel am nächsten Morgen um 7 Uhr den Akku mindestens halbvoll haben möchte oder auch ganz voll. In der Zeit dazwischen steht die halbe oder auch die ganze Kapazität des Akkus dem Netzbetreiber zur Verfügung. Dieser kann also mindestens einen Teil der regelmäßig auftretende Lastspitze zwischen 18 und 20 Uhr mit Strom aus den Akkus der angeschlossenen E-Autos abdecken, bis auf den Rest, den er ihm Akku belassen soll, wie in der App eingestellt. Wenn nach Mitternacht, wie üblich, kaum Nachfrage herrscht, kann der Netzbetreiber den Akku mit billigem Strom ganz aufladen. Er muss nur sicherstellen, dass zur eingestellten Uhrzeit am nächsten Tag der gewünschte Ladestand gewährleistet ist. Wer weiß, dass er am nächsten Tag nicht fahren wird, kann auch zur Abdeckung der morgendlichen Lastspitze beitragen und vermeidet so die Bereitstellung von Regelleistung aus Braunkohlekraftwerken. Die 10.000 teilnehmenden E-Autos bilden gemeinsam das Spitzenlastkraftwerk und bieten „Regelleistung“ an. So nennen Netzbetreiber diese Leistung. Es würde also ganz überwiegend geladen in Zeiten, in denen „Überschuss-Strom“ am Markt ist, der nicht „für lau“ exportiert oder gar verschenkt werden müsste, wie es heute noch geschieht. Gelegentlich muss sogar der Strom-Produzent dafür zahlen, damit sein Strom abgenommen wird. Die in den Autoakkus gespeicherte elektrische Ladung würde in Spitzenlastzeiten genutzt. Elektroautos könnten so zur Netzstabilisierung beitragen. Der Netzbetreiber nennt dieses Verfahren: Vehicle-to-Grid: V2G, zu deutsch: „Fahrzeug an das Netz“.

Zumindest der japanische Ladestandard ChadeMo (in Nissan und Kia-Fahrzeugen eingesetzt) unterstützt technisch das V2G-Verfahren. Der europäische Ladestandard CCS (Combined Charging System) bietet vermutlich die Voraussetzung dafür. Benötigt wird noch ein Wechselrichter, der aus dem Gleichstrom, wie er aus dem Akku kommt, Wechselstrom macht, der in das Netz eingespeist werden kann. Zur Zeit gibt es in Deutschland noch nicht alle rechtlichen Voraussetzungen. 

Für die vom Autobesitzer geforderte Planung der Fahrten, der Einschränkung der Flexibilität sowie der Zurverfügungstellung der Hardware müsste der Netzbetreiber eine attraktive Preisminderung beim Strom anbieten, die sicherstellt, dass eine ausreichende Zahl an E-Auto-Eigentümern Verträge abschließt. Grundsätzlich und ohne, dass dieses Modell durchgerechnet wurde, bietet sich die Möglichkeit eines mehrfachen Nutzens: Der Netzbetreiber bekommt ohne größere Investitionen Akkuspeicher-Kapazität, die in großem Umfang elektrische Regelleistung anbieten kann zur Stabilisierung der Netze und zur Vergleichmäßigung der Nachfrage, und der E-Autofahrer bezieht preisgünstig Strom. 

In den Niederlanden testet der Netzbetreiber TenneT mit 100 privaten Tesla-Fahrzeugen, deren Eigentümer freiwillig teilnehmen, diese Idee. Dabei geht es allerdings nur um eine Steuerung des Zeitpunktes sowie der Intensität des Ladevorganges. Es geht noch nicht um die Entnahme von Strom aus dem Akku

Weiter geht das, was ebenfalls in den Niederlanden, in Utrecht, schon seit 2015 geschieht. Dort stehen bereits Ladesäulen, die bidirektionales Laden und Entladen unterstützen. Der lokale Carsharing-Anbieter LomboXnet verleiht 50 Renault Zoe, die an den 22 kW-Ladesäulen angeschlossen sind, wenn sie nicht unterwegs sind und werden dann geladen, wenn Strom im Überfluss da ist und sehr billig angeboten wird, bzw. in freigegebenen  Zeiträumen entladen, wenn Strom knapp und teuer ist. Private Elektroautoeigner können über die App von Jedlix den Vorgang steuern. 

In Dänemark wurden ebenfalls bereits V2G-Feldversuche mit dem Nissan Leaf unternommen. Die finanziellen Einsparungen beim Elektroauto-Eigner werden mit rund 1300 Euro im Jahr für die Bereitstellung von Regelleistung angegeben.

In Großbritannien will OVO, einer der größten Netzbetreiber 2018 Eigentümern des neuen Nissan Leaf anbieten, an einem V2G-Projekt teilzunehmen. Die Ersparnisse, die OVO dem Fahrzeugeigentümer anbietet, liegen bei 350 bis 400 Pfund (396 bis 452 Euro) jährlich.

In Deutschland liegt eine breit angelegte Untersuchung (Intelligente Netzanbindung von Elektrofahrzeugen zur Erbringung von Systemdienstleistungen INEES) vor, die im Zeitraum 1. Juni 2012 bis 31. Dezember 2015 das Anwenderverhalten, sowie technische, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte der Einbindung von Batterie-elektrischen Pkw in das Stromnetz zur Erbringung von Sekundärregelleistung zur Netzstabilisierung geprüft und bewertet hat. Ein Ergebnis war, dass dies grundsätzlich möglich ist. Notwendige technische Entwicklungen und rechtliche Anpassungen werden beschrieben. 

Anstatt also zu einer Gefahr für die Stabilität der Stromnetze zu werden, bieten Batterie-elektrische Autos ganz im Gegenteil die realistische Möglichkeit, die Netze zu stabilisieren, indem sie kurzfristige Strombedarfsspitzen des öffentlichen Netzes innerhalb von wenigen Sekunden abdecken können und „Überschussstrom“ zur rechten Zeit zur Akkuladung nutzen können.

 

 

Ihr Ansprechpartner

Carl-Heinz Christiansen


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