BUND-Landesverband Schleswig-Holstein e.V.

Stickoxide und drohende Fahrverbote in Kiel

Seit Sommer 2017 wird auch in Kiel öffentlich und heftig über erhöhte Stickoxide im Theodor-Heuß-Ring und drohende Fahrverbote diskutiert. Grund dafür waren die Forderungen der Deutschen Umwelthilfe an das Land, einen Luftreinhalteplan aufzustellen, der auch sofort wirksame Maßnahmen vorsieht.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte bereits einige Städte in Deutschland wegen Nicht-Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte verklagt. Im August 2018 asphaltierte die Stadt den Theodor-Heuss-Ring neu und trug auf dem besonders betroffenen Abschnitt einen Titandioxid-Belag auf, der durch photokatalytische Wirkung Stickoxide in Nitrat umwandeln soll. 

Klagen der Deutschen Umwelthilfe

Im November 2017 hatte die DUH dann auch gegen den Umweltminister Schleswig-Holsteins Klage wegen der Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte im Theodor-Heuss-Ring beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht eingereicht. Vor Ende 2018 ist wohl nicht mit einem Urteil zu rechnen. Das Grundsatzurteil aus Leipzig stellte jedoch klar, dass Fahrverbote grundsätzlich erlaubt sind.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) verhandelte am 27. Februar 2018 darüber, ob die Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf zurecht entschieden haben, dass Diesel-Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge schon nach der aktuellen Rechtslage zulässig sind. Mit seinem Urteil bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nun die Urteile aus Stuttgart und Düsseldorf und gab der Deutschen Umwelthilfe in allen inhaltlichen Punkten recht. Damit ist der Weg frei für Diesel-Fahrverbote und für saubere Luft in deutschen Städten.

Seitdem hat die DUH 34 Diesel-Klagen eingereicht bzw. plant es noch und hat bislang alle bis auf eine Klage gewonnen. Es müssen u.a. für folgende Städte Fahrverbote angeordnet werden: Stuttgart, Frankfurt am Main, Aachen, Mainz, Köln, Bonn, Essen, Gelsenkirchen. In Hamburg gelten die Fahrverbote schon. Hier hatte der BUND geklagt.

Der Bundesregierung fällt dazu nur ein, den Grenzwert quasi auf 50 µg/m3 zu erhöhen, indem sie Grenzwertüberschreitungen um 25% tolerieren will. Und die CDU möchte der DUH die Gemeinnützigkeit absprechen lassen.

Eigene Messungen

Der BUND und der Verkehrsclub Deutschland (VCD Nord) haben auf Bitte der DUH im Juni eigene Messungen mit Passivsammlern an Kinderorten und in Kindernasenhöhe (ein Meter) und zwei Meter durchgeführt. Nicht alle Standorte konnten wegen Vandalismus ausgewertet werden. Auffällig sind aber die gemessenen Stickoxide im Ostring. Auf Höhe der Hans Christian Andersen Schule haben wir in zwei Meter Höhe 35,5 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) und in ein Meter Höhe sogar 41,4 µg/m3 gemessen. Auch auf Höhe des Spielplatzes Oldesloer Platz in der Bahnhofsstraße ist der Wert in zwei Meter Höhe mit 29,4 µg/m3 relativ hoch (der ein Meter Wert fehlt). BUND und VCD fordern deshalb, dass im Ostring, wo auch wegen Grundschule, Kita, Spielplatz, Freibad und andere Sportplätze relativ viele Kinder unterwegs sind, offizielle Messungen des Staatl. Umweltamtes mit Passivsammlern durchgeführt werden, und zwar auch auf Kindernasenhöhe:

  • Oldenburger Straße
  • Kreuzung Preetzer Straße
  • Kreuzung Helmholtzstraße
  • Kreuzung Stoschstraße

Als orientierende Messung wie sie bereits in der Gutenbergstraße, Ringstraße, Hamburger Chaussee, Alte Lübecker Chaussee und Ziegelteich vom Staatlichen Umweltamt gemacht werden.

Diesen Forderungen unsererseits kommt das Umweltministerium jetzt – allerdings mit Einschränkungen – nach. Es sollen ab Januar 2019 am Ostring 3 Passivsammler an Wohnhäusern und 1 Passivsammler auf dem Gelände der Hans Christian Andersen Schule aufgehängt werden. Allerdings nicht in Kindernasenhöhe, sondern in 2,5 m Höhe.

Die Werte in direkter Nähe der offiziellen Messstelle im Theodor-Heuss-Ring betrugen zum Vergleich 59,7 µg/m3 (Zwei Meter) und sogar 61,4 µg/m3 in ein Meter Höhe. Diese Werte sprechen nicht für eine Reduktion der Stickoxide im Theodor-Heuss-Ring seit der Neuasphaltierung vor einem Jahr.

Übersichtstabelle: Eigene Messungen mit Passivsammlern (31.5. – 27.06.2018)  (Auto-Grafik: Freepik)

Eigene Auswertungen der Luftmessdaten des Umweltbundesamtes

Die Stickoxidgrenzwerte von 40 µg/m3 im Theodor-Heuß-Ring werden nach wie vor massiv überschritten. Die im August 2017 auf dem betroffenen Straßenabschnitt aufgetragene Titandioxid-Schicht scheint auch nicht unbedingt wie erhofft zu wirken. Zumindest sind noch immer keine Erfolgsmeldungen seitens der Stadt vermeldet worden. Unsere eigenen Auswertungen direkt vor (10. Juli bis 9. August.), während (10. bis 19. August) und nach (20. August - 10. September 2017) dem Asphaltaustausch über einen Zeitraum von zwei Monaten ergaben jedoch nur eine minimale Reduktion der Messwerte von vorher 58,32 µg/m3 auf nachher 57,34 µg/m3. Während der Arbeiten und der Sperrung der Hälfte der Fahrspuren sank der Wert auf 31,27 µg/m3. Allerdings bei einem Anstieg der Durchschnittswerte in der Bahnhofsstraße von 38,34 µg/m3 auf 41,14 µg/m3 (während der Arbeiten) und sogar auf 42,31 µg/m3 nach den Bauarbeiten.

Und auch der Vergleich folgender Zeiträume zeigt statt sinkender Werte sogar steigende Werte:
1. Januar 2017 bis 9. August 2017: Mittelwert aller Stundenmittelwerte 61,41 µg/m3
1. Januar 2018 bis 9. August 2018: Mittelwert aller Stundenmittelwerte 68,69 µg/m3

Bei diesen Auswertungen wurden aus allen Stundenmittelwerten in den jeweiligen Zeiträumen je ein Mittelwert gebildet. Nicht berücksichtigt wurden bei dieser Auswertung eine ggf. notwendige 3-monatige „Anlaufphase“ des Belags sowie Wind und Wetter, die z.T. erhebliche Auswirkungen haben können.

Die Bahnhofsstraße entwickelt sich seit dem Sommer 2017 wieder zu einem Wackelkandidaten: Der Mittelwert, gebildet aus allen Stundenmittelwerten des Jahres 2018, betrug bis zum 17. August 2018 40,52 µg/m3. Für die Bahnhofsstraße ist dann wohl auch ein Luftreinhalteplan notwendig. 

Tabelle Stickoxidwerte Vergleich  (Grafik Kirsten Kock / BUND SH)
Tabelle Messwerte Vergleich 2017/2018  (Grafik Kirsten Kock / BUND SH)

Blaue Plakette und Hardware-Nachrüstung

Die von den Umweltverbänden seit längerem geforderte Blaue Plakette zur leichten Kennzeichnung von Kfz, die wenig Stickdioxid ausstoßen, scheitert nach wie vor am Widerstand des Bundesverkehrsministers und der Bundesregierung. Auf die Hardware-Nachrüstung warten die Diesel-Pkw-Fahrer bekanntlich auch noch. Das Krisenmanagement der Bundesregierung ist letztlich gescheitert.

Luftreinhalteplan des Landes und GreenCityPlan

Der Ende Mai vorzeitig veröffentlichte Entwurf des Luftreinhalteplanes ist immer noch nicht fertig, weil die dazu eingeholten beiden Gutachten der Stadt Kiel für kurzfristig wirksame Maßnahmen noch nicht endgültig vorliegen. Es gab technische Probleme bei der Modellierung, bis 17.12.2018 erwartet das Umweltministerium jedoch die Ergebnisse der Stadt und wird selbst nachrechnen. Von den Gutachtern durchgerechnete und realistische Maßnahmen sind etwa eine Zuflussbegrenzung am „Überflieger“ (Barkauer Kreuz), damit sich vor der Messstelle kein Stop-and-go bildet und ein Tempolimit von 50 km/h. Ob das alles aber ausreichen wird, werden die Messungen zeigen.

Der Green City Plan mit mittel- bis langfristig wirksamen Maßnahmen wurde Ende August 2018 fertig gestellt. Dort wurden auch die vom BUND geforderten Projekte von 2 Premiumradrouten nach Preetz/Plön und nach Laboe, einer Grünen Welle für den Radverkehr (als Modell-Projekt), die Einführung eines regionalen Bike-Sharing-Systems mit 30 kostenlosen Minuten und der kostenlose Transport der Räder auf der Schwentine-Fähre mit aufgenommen.

Forderungen des BUND

Kurze Fahrverbotsstrecken für Diesel-Pkw (bis Euro 6) führen nur zu einer Verlagerung der Verkehre, voraussichtlich in die Alte Lübecker Chaussee, die Hamburger Chaussee und vielleicht auch in die Bahnhofsstraße, und dadurch letztendlich durch längere Wege zu erhöhten Emissionen. Der BUND fordert Maßnahmen, die an der eigentlichen Ursache, nämlich der viel zu vielen (Diesel)-Kraftfahrzeuge auf dem Theodor-Heuss-Ring, und letztendlich in der ganzen Stadt, anzusetzen:

Als kurzfristige Maßnahme die Einrichtung einer größeren Umweltzone mit Diesel-Fahrverboten für Pkw bis Euro 6, um Ausweichverkehre zu vermeiden. Mit einer Ausnahmegenehmigung für Color-Line und Stena-Line Fahrgäste. Da eine bundesweite Blaue Plakette noch nicht in Sicht ist, bräuchte es eine Kieler Blaue Plakette. Dies würde den Wirtschaftsverkehr schonen, da keine Lkw, sondern nur Pkw betroffen wären. Für die betroffenen Pkw-Fahrer bräuchte es ggf. Shuttle-Busse. Ansonsten gibt es bereits Mitfahr-Börsen, Bahnen, Busse und Radwege. Letztere müssen massiv ausgebaut werden und insbesondere mehr Radschnellwege angelegt werden.

Als mittelfristige Maßnahme braucht es die Einführung von flächendeckenden Parkgebühren im öffentlichen Straßenraum für die ganze Stadt, beginnend im Zentrum. Dies würde den Wirtschaftsverkehr stärken, da er viel besser durchkäme und viel schneller einen Parkplatz fände.

Als langfristige Maßnahme braucht es einen attraktiveren ÖPNV, also eine Tram oder Stadtbahn. Die Politik hat dazu am 15.11.2018 mit einer breiten Mehrheit die nächsten Planungsschritte für eine Stadtbahn beschlossen. Auch hier wartet man auf die Fertigstellung und Veröffentlichung des Gutachtens zur Optimierung des ÖPNV in Kiel. Unser Tipp: Es läuft auf eine Regio-Tram oder ein Tram hinaus. Allein mit dem Bus werden nicht genügend Kapazitäten geschaffen werden können und eine U-Bahn ist zu groß für Kiel.

Mobilitätswende jetzt!
Der nasse Herbst 2017, der heiße Sommer 2018, die nach wie vor nicht eingehaltenen NOx-Grenzwerte, der viele Lärm und die viel zu vielen Autos in der Stadt machen es überdeutlich: Wir brauchen eine grundsätzliche Mobilitätswende und keine Symbol-Maßnahmen.

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Stickoxide haben massive Auswirkungen auf die Gesundheit und fördern etwa Allergien und Atemwegsbeschwerden.

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