BUND-Landesverband Schleswig-Holstein e.V.

Wildnis in Schleswig-Holstein

Wo konkret könnte sich Wildnis in Schleswig-Holstein entwickeln und welche Kriterien sind dafür wichtig?

Wildnisflächen in Schleswig-Holstein werden aufgrund der besonderen Prägung der Landschaft sicherlich leicht von den offiziellen Definitionen abweichen müssen. Trotz der dominierend Landwirtschaft gibt es aber durchaus eine ganze Reihe von Landschaften in Schleswig-Holstein, die für Wildnis in Frage kommen: 

  • Auen, Niedermoore, Tidemarschen und überflutungsgefährdete Gebiete an Gewässern
  • Polderflächen in Küsten- und Flussmarschen, die bisher aufwendig entwässert werden
  • Moorgebiete, gegebenenfalls nach initialer Wiedervernässung
  • Randbereiche größerer Seen mit Röhrichten und Bruchwäldern
  • Flussmarschen mit größeren Niedermoorregionen
  • Küstenmoore und Küstenniederungen
  • Dünen
  • große, zusammenhängende, möglichst alte Wälder
  • ehemals genutzte Flächen, die großflächig der Sukzession überlassen werden können, wie Truppenübungsplätze, Spülflächen, alte Kiesgruben und ähnliches.

Konkrete mögliche Gebiete in Schleswig-Holstein könnten die Elbaußensände wie Pagelsand und Reinsand oder Waldgebiete wie die Hahnheide sein. Der BUND wird zeitnah eine mögliche Gebietskulisse für Schleswig-Holstein unter Berücksichtigung aller in Frage kommender Lebensraumtypen veröffentlichen.

Nicht geeignet sind typische Lebensräume der Kulturlandschaft, die dem Artenschutz dienen, wie Heiden, Magerrasen, arten- und strukturreiches Dauergrünland, aber auch bedeutende Rastgebiete von Wiesenvögeln. 

Welche Ausdehnung muss Wildnis haben?

Die Wild Europe Initiative hat vorgeschlagen, dass Wildnisgebiete mindestens 3000 Hektar groß sein sollten zuzüglich einer ausreichenden umgebenden Pufferzone. Diese Größenordnung ist in Skandinavien oder in Osteuropa eventuell umsetzbar, in Deutschland sieht dies schon schwieriger aus. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat seine Kriterien für Wildnisgebiete dahingehend modifiziert, dass unter Aufrechterhaltung des Mandats, nach Möglichkeit die geforderten 3000 Hektar aufzubringen, angesichts der Kleinräumigkeit Deutschlands auch schon 1000 Hektar (etwa bei Wäldern) beziehungsweise 500 Hektar (wie bei Mooren) für die Ausweisung von Wildnisflächen genügen.
Vorstellungen in Schleswig-Holstein gehen dahin, aufgrund der noch stringenteren und sich durch die weiterhin ungehemmte Zerschneidung und Bebauung weiter Landschaftsteile verschärfende Kleinräumigkeit der Landschaft, auch 200 Hektar als ausreichend anzusehen.

Der BUND fordert aber, dass die Kriterien des BfN soweit wie möglich erfüllt werden, auch wenn dies aufgrund der räumlichen Struktur in Schleswig-Holstein schwierig sein sollte. Wildnisgebiete beziehungsweise Wildnisentwicklungsgebiete können nur funktionieren, wenn störende Einflüsse wie Stoffeintrag, Entwässerung oder Störung durch Freizeitaktivitäten minimiert werden. Deshalb sollte die Mindestgröße von 250 Hektar und eine Mindestkantenlänge von etwa 250 Metern nicht unterschritten werden.

Die Gebiete müssen möglichst unzerschnitten sein und in den landesweiten Biotopverbund eingebettet werden.  Sollten sie durch Straßen oder ähnliches doch unterbrochen werden, darf kein Teilstück kleiner als 100 Hektar sein, es sei denn die Unterbrechung ist für die Funktion des Gebietes unerheblich (etwa eine Brücke über einem Fluss). Lineare Wildnisgebiete, wie etwa Flussauen, sollten bei einer durchschnittlichen Bereite von 500 Metern eine Mindestlänge von fünf Kilometern aufweisen und bei einer Breite von 250 Metern eine Mindestlänge von zehn Kilometern.

Die Gebiete sind gemäß den Vorgaben des European Wilderness Quality Standard and Audit System anfänglich in eine Kernzone, eine Renaturierungszone und eine Pufferzone zu gliedern. Die Zertifizierung ist anzustreben. Die Renaturierungszone muss sukzessiv genutzt werden, um die Kernzone auszudehnen.

Für den BUND ergibt sich somit eine notwendige Größe für die Suchkulisse, die deutlich umfangreicher ist als der angestrebte Zielwert, damit eine sinnvolle Selektion nach weiteren sozialen, touristischen und anderen Kriterien möglich ist.
Der BUND betrachtet diese Flächen lediglich als Mindestmaß für weitere Ausweisungen.  In der Suchkulisse sollte mindestens die Hälfte aus Flächen mit jeweils zusammenhängender Größe von mindestens 1000 Hektar oder mehr bestehen. Einzelne Flächen mit über 3000 Hektar sind anzustreben. Diese Gebiete sollten nach dem European Wilderness Quality Standard and Audit System zertifiziert werden.
Um die nötigen Flächengrößen zu finden, sollte auch das Instrument der Flurbereinigung in Betracht gezogen werden. So ließen sich zum Beispiel die Flächen der Stiftung Naturschutz in ausreichend große Einheiten zusammenfassen, die zu Wildnisentwicklungsgebieten erklärt werden könnten.

Schutz für Wildnis

Die Wildnisgebiete müssen dauerhaft durch Unterschutzstellung gesichert sein. Um Konflikte zwischen den Zielen des Prozessschutzes (Wildnis) und traditionellem Artenschutz zu vermeiden und den anderen Schutzzweck zu verdeutlichen, sollte eine eigene Schutzkategorie „Wildnisgebiet“ (in Anlehnung an IUCN Ib) in das Landesnaturschutzgesetz aufgenommen werden, die dem Status eines traditionellen Naturschutzgesetzes gleichrangig ist. Eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative sollte umgehend eingebracht werden und bis spätestens 2020 vollzogen sein, entsprechend des Zielhorizonts der Nationalen Biodiversitätsstrategie. Darüber hinaus bietet sich die Perspektive, die größten Wildnisgebiete als Kernzone eines zu schaffenden terrestrischen Nationalparks in Schleswig-Holstein zu verwenden.

Die Gebietsentwicklung muss wissenschaftlich begleitet und ausführlich dokumentiert werden, idealerweise durch die Schaffung zusätzlicher Biologischer Stationen zumindest an den Großschutzgebieten.

 

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