Unsere Position zur Waldstrategie des Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz (MLLEV)

Im Zuge der Entwicklung einer Waldstrategie hat das MLLEV unterschiedlichste Institutionen aufgefordert, ihre Positionen bei der Entwicklung einer Waldstrategie für Schleswig-Holstein einzubringen. Nachstehend die Fragenkategorien und unsere Antworten dazu.

1. Allgemeine Fragen

Zum Wald in Schleswig-Holstein liegen grundlegende Informationen vor. Von Waldfläche über Baumartenverteilung bis zum Waldzustand lassen sich Aspekte des Waldes in Zahlen darstellen. Nun möchten wir den Wald aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

2. Waldentwicklung, nachhaltige Bewirtschaftung und Jagd

Der Wald ist ein langlebiges und dynamisches Ökosystem, welches im vorgegebenen Rahmen des Standorts entwickelt und gestaltet werden kann. Neben einer Betrachtung auf Bestandsebene, z.B. bei der Baumartenwahl, kann der Fokus auch auf Waldgebiete, z.B. mit der Erfüllung der verschiedenen Waldfunktionen, gelegt werden.

3. Klimaschutz und Anpassung der Wälder an den Klimawandel

Aufgrund ihrer langen Produktionszeiträume sind Wälder anfällig gegenüber dem Klimawandel. Der Wald kann eine erhebliche natürliche Kohlenstoffsenke bilden. Durch die langfristige Verwendung von Holz wird die positive Klimawirkung verstärkt. Aus diesem Grund ist eine frühzeitige Anpassung der Wälder an den Klimawandel von großer Bedeutung.

4. Waldnaturschutz und Biodiversität

Wald als Teil der Kulturlandschaft beherbergt wertvolle Lebensräume mit charakteristischen und auch schützenswerten Arten.

5. Holzerzeugung und Verwendung, Wertschöpfung

Die Wälder in Schleswig-Holstein produzieren den regional nachwachsenden Rohstoff Holz, der hochmechanisiert oder motormanuell geerntet wird. Die stoffliche und energetische Nutzung des Holzes führen zu einer Wertschöpfung im ländlichen Raum.

6. Arbeit, Einkommen, Waldeigentum

Mit 4,3 Mrd. Euro Umsatz stellt das Cluster Forst und Holz 2,6 % am gesamten steuerbaren Umsatz aller Unternehmen in Schleswig-Holstein. Knapp 25.000 Beschäftigte und über 13.000 private Waldbesitzende generieren Einkommen aus dem Wald bzw. dem Cluster.

7. Erholung, Sport, Bildung und Gesundheit

Der Wald bietet Ruhe, Entspannung, wird für sportliche Aktivitäten gerne aufgesucht und ist nachweißlich gut für die Gesundheit. Der Wald ist Erfahrungs- und Lernraum.

8. Neuwaldbildung

Für Menschen, Tiere und unser ganzes Ökosystem sind Wälder von großer Bedeutung. Das Ziel 12% Waldfläche wird jedoch seit Jahrzehnten nicht erreicht.

Die untenstehenden Fragen beziehen sich auf die obenstehenden Kategorien, hier sind unsere detaillierten Antworten:

Unsere Position zur Waldstrategie des MLLEV

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Welche Institution vertreten Sie für diese Befragung und welcher Kategorie ordnen Sie Ihre Institution am ehesten zu??

Institution:

  • BUND Schleswig-Holstein

Kategorie: 

  • Klimaschutz
  • Naturschutz
1. Wie bewerten Sie aus Ihrer Sicht den aktuellen Ist-Zustand der Wälder in Schleswig-Holstein?

Im Vergleich mit anderen Bundesländern erscheinen die Wälder in S-H insgesamt noch relativ vital. Sie sind aufgrund der Lage zwischen den Meeren bisher weniger stark von Extremereignissen des Klimawandels betroffen. Laubwald zeigt die geringsten Beeinträchtigungen. Schäden an der Schattbaumart Buche sind fast nur dort aufgetreten, wo der Bestand durch Holzeinschlag aufgelichtet wurde und die frei stehenden Bäume der Sonneneinwirkung und Hitze ausgesetzt wurden. Diese Wirkung nimmt in den kontinentaler geprägten Bereichen im Südosten zu. Nadelwälder – insbesondere Fichtenbestände zeigen dagegen deutlich größere Schäden mit stellenweise flächigem Absterben.

Insgesamt sind allerdings die Holz-Zuwachsraten allgemein zurückgegangen. Die Werte der in der Forstwirtschaft verwendeten Ertragstafeln treffen nicht mehr zu.

1. Wie stellen Sie sich die zukünftige Entwicklung bzw. den für Sie optimalen Soll-Zustand der Wälder in Schleswig-Holstein vor?

Die Zukunft der Wälder ist angesichts der Ungewissheit über Tempo und Ausmaß des Klimawandels und von damit verbundenen Extremereignissen auf längere Sicht ungewiss. Allerdings offenbart bereits der bisherige Klimawandel mit großflächigem Absterben naturferner, seit je her ökologisch instabilen (Nadelholz-)Forsten die Zukunftsunfähigkeit einer seit Jahrzehnten vorrangig auf schnelle Holzproduktion ausgerichteten Forstwirtschaft in Deutschland. Dem gegenüber haben sich naturnahe Laubwälder, die ein kühl-feuchtes Binnenklima infolge geschlossenem Kronendach und hohem Totholzanteil aufweisen als widerstandsfähig erwiesen. Die Entwicklung und der Erhalt naturnaher, ökologisch stabiler, sich weitgehend selbst regulierender Wälder, die sich so weit wie möglich aus eigenem Vermögen an die klimatischen Veränderungen und Extremereignisse anpassen können, muss deshalb oberste Maxime einer neuen Waldstrategie sein. Sie orientiert sich an der natürlichen Lebens- und Reproduktionsfähigkeit des Waldes und dient vorrangig den gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtswirkungen (u.a. Kohlenstoffsenke, Klimastabilisierung, Biodiversität, Erholungsfunktion) und nicht – wie bisher – de facto der Holzproduktion.

Der Erhalt der Vitalität ist absoluter Vorrang einzuräumen. Sie ist zugleich die Voraussetzung für eine an der natürlichen Produktivität ausgerichteten wirtschaftlichen Holznutzung. Insbesondere ist aber die Rolle der Wälder als CO2-Senke in den Vordergrund zu stellen. Die einzige naturbasierte Möglichkeit, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, stellt die Photosynthese mit anschließender Ablagerung der Biomasse dar. Nach den Mooren haben Naturwälder dazu das höchste Potential. Deshalb muß jede Nutzung von Holz mit dem durch Fällen der Bäume verminderte Potential zur CO2-Speicherung gegengerechnet werden. Eine CO2-Bilanzierung und –bepreisung ist auch für die Waldwirtschaft dringend geboten.

1. Bitte benennen und erläutern Sie kurz die größten Probleme und Widerstände, die sich aus Ihrer Sicht auf dem Weg vom Ist- zum Soll-Zustand ergeben.

Neben der Ungewissheit über Ausmaß und Folgen des Klimawandels sind vor allem folgende „hausgemachte“ Probleme und Widerstände zu nennen:

  • Der hohe Anteil an naturfernen, instabilen Wäldern als Folge der langjährigen Ausrichtung auf schnelle Holzproduktion
  • Die Forderungen aus Wirtschaft und Politik nach Steigerung der Holzproduktion – auch mit der Begründung des Klimaschutzes ohne Berücksichtigung der natürlichen Produktivität des Waldes.
  • Die auf Holzproduktion ausgerichtete Handlungsorientierung und Denkweise des überwiegenden Teils des heutigen Forstpersonals. Kennzeichnend ist die Überzeugung, dass der Wald ohne die Steuerung und Pflege durch Förster nicht existieren könne.
  • Die genannte Orientierung der Forstleute resultiert aus einer entsprechenden Ausrichtung der Forststudiengänge, der Ausbildung in der Forstverwaltung und der Forstberatung. Waldökologische Zusammenhänge werden nur untergeordnet und unzureichend vermittelt bzw. berücksichtigt. Eine selbstkritische Reflexion im Hinblick auf hausgemachte Ursachen der Waldschäden ist nicht zu erkennen. Schuld haben allein Klimawandel, Trockenheit, Borkenkäfer oder Stürme - nur nicht die seit Jahrzehnten praktizierte Wirtschaftsweise.
  • Die wirtschaftliche Abhängigkeit insbesondere der privaten Forstbetriebe von möglichst kurzfristigen finanziellen Erträgen aus der Holzvermarktung be- und verhindert die Neuausrichtung der Forstplanung an gesamtgesellschaftlichen Interessen und waldökologischen Erkenntnissen. Stattdessen wird u.a. versucht Schadflächen nach altem Muster schnellstmöglich wieder mit Hilfe hoher staatlicher Fördermittel aufzuforsten bzw. „umzubauen“.
  • Diese Vorgehensweise wird durch die bestehende Gesetzeslage und die staatliche Förderpolitik gestützt und befördert. Eine Novellierung der Waldgesetze und Förderrichtlinien ist überfällig.
  • Die Wälder in öffentlicher Hand haben gem. Urteil des BVG vorrangig dem Gemeinwohl und nicht der Holzproduktion zu dienen. Sie sollen eine Vorbildfunktion wahrnehmen. Die SHLF, die ca. 1/3 des Waldes in SH bewirtschaften, sind nach den Prinzipien eines auf Gewinn ausgerichteten Wirtschaftsbetriebes organisiert. Das widerspricht klar den genannten Anforderungen.
2. Welche Aspekte sollten Ihrer Meinung nach bei der Waldentwicklung in den Fokus genommen werden?

Die gravierenden Waldschäden die innerhalb weniger Jahre zu Tage getreten sind, belegen, dass die forstwirtschaftlich gesteuerte Entwicklung und Gestaltung des Waldes nach ausschließlich wirtschaftlichen Prinzip zur Erzielung größtmöglicher Erträge schon mit den ersten Einwirkungen des Klimawandels als gescheitert zu bewerten ist. Nunmehr mit nichtheimischen Baumarten und -herkünften den klimaresistenten Wirtschaftswald herstellen zu wollen unterliegt aufgrund der komplexen, nicht hinreichend bekannten Wirkungszusammenhänge im Ökosystem Wald sowie der unkalkulierbaren Klimaentwicklung dem hohen Risiko des erneuten Scheiterns.

Zukünftig muss die Stärkung der natürlichen Selbstheilungskräfte, der Resilienz und der Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umweltbedingungen im Fokus des Umganges mit dem Wald stehen. Orientierung bieten Forschungsergebnisse über die Prozesse in vom Menschen möglichst wenig beeinflussten Naturwäldern als sog. Referenzflächen. Sie liefern wichtige Informationen über die Faktoren, die Widerstandskraft, Anpassungsfähigkeit und biologische Vielfalt des Ökosystems bestimmen.

2. Was sind für Sie die Kernpunkte einer nachhaltigen Bewirtschaftung inkl. Jagd?

Als nachhaltig kann die Waldbewirtschaftung nur bezeichnet werden, wenn sie dem Ziel der Erhaltung ökologisch stabiler und anpassungsfähiger Wälder mit einer hohen waldtypischen Biodiversität folgt.

Kernpunkte sind:

  •  Die Stabilität der ökologischen Prozesse sowie die natürliche Leistungsfähigkeit begrenzen das Maß möglicher Holzentnahme. Die Bewirtschaftung folgt dem wirtschaftlichen Minimum-Prinzip, d.h. der durch die natürliche Produktivität des stabilen Ökosystems gegebene Ertrag wird mit dem geringstmöglichem Eingriffen angestrebt.
  • Die Sicherung der Widerstandskraft gegenüber Dürrezeiten erfordert den Erhalt bzw. die Entwicklung eines kühl-feuchten Waldbinnenklimas. Erforderlich ist der Aufbau Biomasse-reicher Wälder mit dichtem Kronenschluss, hohem Anteil an stehendem und liegenden Totholz sowie der Erhalt bzw. die Wiederherstellung des natürlichen Bodenwasserhaushalts (Rückbau von Entwässerungssystemen). 
  • Forstliche (Pflege-)Eingriffe sind damit auf den unbedingt notwendigen Umfang beschränkt, da sie in der Regel mit Störungen des Ökosystems verbunden sind – u.a. mit Bodenverdichtungen. Die Eingriffe sollten sich an Forschungsergebnissen über das Wachstumsverhalten der Bäume in unbewirtschafteten Referenzwäldern orientieren. Die Holzernte ist mit boden- und bestandsschonenden Verfahren z.B. unter Einsatz von Seilzügen und Rückepferden durchzuführen. 
  • Die Begründung von Neuwald nutzt wenn möglich die natürliche Wiederbewaldung durch Pionierbaumarten (Espe,Birke, Weiden) evtl. mit zusätzlichen Initialpflanzungen.
  • Die Jagd ist zu beschränken auf die Regulierung des Schalenwildes. Sie soll eine ausreichende Naturverjüngung ermöglichen.
  • Wildverbiß sollte im begrenzten Rahmen als natürlicher Prozess ausschließlich in großen, zusammenhängenden Waldungen (Sachsenwald, Hahnheide, Segeberger Wald, Möllner Wälder) toleriert werden. Kleinere Waldparzellen sind für eine solche Dynamik unter heutigen Bedingungen ungeeignet.
2. Welche Informationsgrundlagen halten Sie vor dem genannten Hintergrund für erforderlich, um die Entwicklung der Wälder in Schleswig-Holstein nachhaltig zu sichern?

Die Erforschung der ökologischen Wirkungszusammenhänge und Prozesse in Naturwäldern liefert wichtige Grundlagen für die Entwicklung resilienter, anpassungsfähiger und artenreicher Wirtschaftswälder.

Hingewiesen sei auf Forschungsergebnisse der Universität Greifswald und der Naturwaldakademie in Lübeck sowie auf die Ergebnisse von Cölling & Mette 2019.

Dagegen können Anbauversuche zur Eignung von nichtheimischen Baumarten und Provenienzen zum Aufbau klimaresilienter Wirtschaftswälder nur eine geringe Aussagekraft zugemessen werden. Die langzeitige Einpassung in die heimischen Waldökosysteme mit Auswirkungen auf die Waldbiodiversität (z.B. Mykorhiza-Pilzarten) sowie ihre Widerstandskraft gegenüber Schadorganismen (die möglicherweise zukünftig bei fortschreitendem Klimawandel eingeschleppt werden) können nicht hinreichend erkannt werden. Anstatt verfrühter Anbauversuche mit standortfernen Arten in Wäldern der offenen Landschaft ist es vorstellbar Gehölze vorerst in städtischen Bereichen in ihrer Entwicklung zu analysieren. Aufgrund der stadtlimabedingte höheren Temperaturen von bis zu 10°C gegenüber der umgebenden Landschaft, können sich hier frühzeitig hinreichende Auskünfte über eventuelle Eignungen neuer Arten im Klimawandel.

3. Wie bewerten Sie die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald und seine Ökosystemleistungen?

Die bereits heute sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels lassen die hochgradige Gefährdung aller ökologisch instabilen Waldbestände erkennen. Bei ungebremsten Fortschreiten sind weitere dramatische Bestandszusammenbrüche nicht auszuschließen. Wie in einigen Nationalparken wie dem Harz und dem Bayerischen Wald erkennbar, können sich auch in ehemals naturferneren Nadelforsten innerhalb kurzer Zeit durch natürliche Sukzession wieder vielfältige Baumarten ansiedeln und neue Wälder bilden. Sie werden in ihrer Zusammensetzung vermutlich von uns gewohnten Waldtypen abweichen, was als Anpassung an das neue Klima zu verstehen ist. Durch die klimatisch bedingten Zusammenbrüche fallen zumindest zeitweise lebenswichtigen Ökosystemleistungen aus. Mit dem Wegfall der Temperaturdämpfung des Mesoklimas, der Freisetzung des in den Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs und dem zwischenzeitlichen Wegfall als Kohlenstoffsenke kann der Klimawandel sogar kurzfristig zusätzlich angeheizt werden.

3. Was empfinden Sie als besonders wichtige Maßnahmen zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel?

Siehe Kapitel „Waldentwicklung, nachhaltige Bewirtschaftung und Jagd“

3. Welches Baumartenspektrum sollte zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel genutzt werden? Bitte erläutern Sie kurz. Welche Baumarten halten Sie für besonders geeignet?

Genutzt werden sollte das Spektrum der in S-H heimischen Baumarten. Durch ihre Jahrtausende währende Einnischung in die heimischen Waldökosysteme sind sie, auch unter Areal-  und kleinräumigen Standortverschiebungen, an die nacheiszeitlich wechselnden klimatischen Verhältnisse angepasst. Sie verfügen über einen breiten Genpool, der es ihnen erlaubt, sich mehr oder weniger auch unter den aktuellen Klimaveränderungen zu behaupten – zum Teil wahrscheinlich nicht auf allen bisherigen (potentiellen) Standorten wie z.B. Buchen auf sandig-trockenen Moränenrücken. Das Augenmerk sollte besonders auf die Arten gerichtet werden, die bisher eine vergleichsweise hohe Widerstandskraft gegenüber dem bisherigen Klimawandel gezeigt haben: u.a. Trauben- und Stieleiche, Winterlinde, Hainbuche, Feldahorn, Vogelkirsche, Flatterulme.

Die Einbringung nichtheimischer Baumarten und Provenienzen birgt wie weiter oben begründet erhebliche Risiken. Heute noch unbekannte Probleme treten möglicherweise erst nach Jahrzehnten auf.

Die selbständige Einwanderung ursprünglich nichtheimischer aber seit langen in Mitteleuropa vorhandener Arten in die Waldökosysteme im Zuge des Klimawandels sollte beobachtet und nicht grundsätzlich verhindert werden. Das gilt etwa für Walnussbaum, Ross- und Esskastanie. Sollten unter bestimmten Umständen, z.B. extremen Standortbedingungen, weitere Baumarten in Betracht gezogen werden, sollte nicht ausschließlich zu submediterrane Arten wie Baumhasel oder Hopfenbuche gegriffen werden, die den vermuteten zukünftigen klimatischen Bedingungen erwiesener Maßen ökologisch gewachsen sind.

4. Welchen Beitrag leisten unsere Wälder zum Erhalt der Artenvielfalt?

Eine pauschale Aussage über „unsere Wälder“ kann nicht getroffen werden. Zudem muss die waldtypische, standortspezifische Artenvielfalt im Focus stehen. Unter dieser Voraussetzung gilt, dass mit der Zunahme von Strukturvielfalt, Naturnähe, Waldalter und Waldgröße Artenvielfalt und Individuenzahl steigen. Dabei ist das zeitgleiche (dynamische) Nebeneinander aller Entwicklungsphasen natürlicher Wälder (vor allem der Altersphasen) von entscheidender Bedeutung. Infolge des aktuell überwiegenden Fehlens der Altersphasen selbst in den gegenwärtigen Laub-Wirtschaftswäldern sind Artenvielfalt und Abundanz vor allem bei den an Stark- und Totholz-gebndenen Insekten und Pilzen allgemein erheblich gemindert. Den geringsten Beitrag zur waldtypischen Artenvielfalt liefern die verbreiteten Altersklassen-Nadelwälder.

Eine spezielle Bedeutung für die Artenvielfalt haben die historisch regional bestimmenden, heute jedoch kaum mehr vorhandenen Niederwälder (Kratts), Mittelwälder und Hutewälder.

4. Welche Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität im Wald sollen aus Ihrer Sicht ergriffen werden, um diesen Beitrag zu vergrößern?

Mit der Einführung der unter dem Kapitel „Waldentwicklung, nachhaltige Bewirtschaftung und Jagd“ beschriebenen ökologisch orientierten Wirtschaftsweise – zumindest für die Wälder in öffentlicher Hand -  würde zugleich ein erheblicher Beitrag zum Schutz bzw. zur Wiederentwicklung der waldtypischen Biodiversität geleistet. Für Klimaschutz und Biodiversität gäbe es ein „Win-Win-Situation“.

Trotzdem werden wirtschaftlich ungenutzte Naturwälder mit einem Anteil von ca. 10 % der Waldfläche des Landes benötigt, um die Entwicklung der Waldbiodiversität in ganzer Breite zu erreichen. In S-H sind dafür die bisher in öffentlichen Wäldern ausgewiesenen Naturwaldflächen mit nur wenigen Gebieten über 100 ha zusammenhängender Größe zu klein. Möglich und notwendig ist die die Ausweisung mindestens eines Waldgebietes, das die Kriterien für Wildnisflächen in Deutschland erfüllt. Mit der „Hahnheide“ bei Trittau (ca. 1.450 ha) steht eine geeignetes Gebiet in Landeseigentum zur Verfügung. Es handelt sich um überwiegend Laubwald, ist praktisch nicht durch Straßen zerschnitten, ist als NSG ausgewiesen und weist bereits ca. 250 ha Naturwald auf.

Auf begrenzter und geeigneten Flächen in Waldrandnähe sollte es behutsam ermöglicht werden in Altwaldbeständen wieder einzelne Hutewälder  ohne Waldausgleichspflicht einzurichten – z.B. durch die Stiftung Naturschutz S-H. Ansonsten können diese Strukturen auch bei der Neuwaldbildung bewusst entwickelt werden

5. Wie bewerten Sie die technische und organisatorische Umsetzung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung aus Sicht des Ressourcenschutzes?

Die oben dargelegten Gefahren und Anforderungen bedeuten, dass die Waldbewirtschaftung zukünftig auf ökologische (und nicht nur wirtschaftliche) Nachhaltigkeit ausgerichtet werden muss. Was an Holz innerhalb eines Zeitraums geerntet werden kann und darf ist vom Erhalt bzw. der Wiederentwicklung ökologisch stabiler Wälder und deren naturgegebene biologische Produktivität abhängig. Es muss ein Paradigmenwechsel erfolgen, so dass das zur Verfügung stehende Ernteholz nach Quantität und Qualität das Angebot auf dem Holzmarkt bestimmt und nicht mehr die Nachfrage der Holzindustrie.

Die Verwendung von Holz zur Energieerzeugung ist entgegen häufiger öffentliche Darstellungen nachweislich nicht klimaneutral. Vertretbar ist lediglich die thermische Nutzung von Holzabfällen aus Industrie und Handwerk sowie als letzte Stufe der sog. Kaskadennutzung. Dass große Anteile des geernteten Holzes insbesondere in Wärmekraftwerken als Kohleersatz verbrannt werden, ist alles andere als nachhaltig. Angemerkt sei hier, dass pro erzeugter Wärmeeinheit bei Holzverbrennung neben den erheblichen Feinstaubbelastungen die zwei- bis dreifache Menge an CO2 im Vergleich zum Gaseinsatz freigesetzt wird.

Restholz bei der Holzernte, wie Baumkronen, sollte als Biodiversität förderndes Totholz und zur Erhaltung der Nährstoffbasis im Wald verbleiben und nicht zur Energiegewinnung eingesetzt werden.

Die Strategie, klimaschädlichen Beton durch Holzbaustoffe zu ersetzen, wird schnell an ihre Grenzen stoßen und unsere Waldbestände überfordern und reflexartige Forderungen zur Rückkehr zu einer ertragsorientierten Monokultur mit allen damit verbundenen Umweltproblemen führen. Die derzeitigen Bemühungen, zu einer klimaneutralen, kostenintensiveren Betonherstellung zu kommen, können hingegen den Druck auf eine gesteigerte Holznutzung obsolet machen.

Sogenannte „langlebige Holzprodukte“ haben in Deutschland eine mittlere Nutzungszeit von ca. 50 Jahren (Aussage Professor Spellmann), so dass damit kein Argument für Nachhaltigkeit geführt werden kann. Jeder stehende, nicht genutzte Baum speichert das Kohlendioxid hingegen für mehrere Jahrhunderte.

Soweit die Nutzung von Holz unverzichtbar bleiben, müssen Nutzholzprodukte müssen so geplant und verbaut werden, dass eine Wiederverwendung des Holzes im Sinne einer Kaskadennutzung möglich wird. Kritisch zu beurteilen sind diesbezüglich etwa Verbundmaterialien aus Holz und Kunststoffen.

5. Sehen Sie weitere Potentiale in der Holzverwendung?

Da Nadelholz zukünftig erheblich weniger zu Verfügung stehen wird, sind die Einsatzmöglichkeiten von Laubholz stärker in den Focus zu rücken. Praxisorientierte Forschungsvorhaben zur Verwendung von Laubholz in der Bauwirtschaft, sollten besonders gefördert werden. Das gilt z.B. für den Einsatz von Birke als Bau- und Konstruktionsholz. Die schnellwüchsige Pionier-Baumart kann zukünftig in größeren Mengen zu Verfügung stehen, u.a. durch die Zulassung der natürlichen Wiederbewaldung von Schadflächen. 

Denkbar ist eine Förderung von Fachwerkbauten, die traditionell mit einem Rahmenwerk aus Laubholz, meist Eiche, errichtet wurden. Für die Fächer kommen neuartige, röhrichtbasierte Baustoffe aus der Paludikultur in Frage, so dass sich eine nachhaltige Synergie zwischen Entwicklung naturnaher Laubwälder, die Wiedervernässung entwässerter Gebiete und die Einkommensmöglichkeiten für davon betroffene Landwirte entwickeln kann.

6. Welche Chancen oder Risiken sehen Sie vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in Bezug auf den Klimawandel und die Holzproduktion?

Die Gefährdung des Waldes durch den Klimawandel gefährdet zugleich Einkommen und Beschäftigung in der Waldwirtschaft. Erhalt und Entwicklung anpassungsfähiger, ökologisch stabiler Wälder ist die Voraussetzung für eine angepasste Holzproduktion. Ein auskömmliches Einkommen und Beschäftigung muss deshalb ein Eckpfosten einer nachhaltigen Waldstrategie bilden.

Staatlich finanziell gefördert sollte ausschließlich die Entwicklung naturnaher ökologisch stabiler und anpassungsfähiger Wälder, wie ies m Kapitel „Waldentwicklung, nachhaltige Bewirtschaftung und Jagd“ skizziert ist.

6. Sollen Ökosystemleistungen, insbesondere dem Gemeinwohl dienende, honoriert werden? Erläutern Sie bitte.

Aufgrund der wachsenden Bedeutung gesunder Wälder bei fortschreitendem Klimawandel für die menschliche Gesundheit (Erholung, lebensfreundliches Landklima), CO2-Absenkung und Erhalt der Biodiversität müssen Gesellschaft und Politik bereit sein die Bereitstellung dieser „Leistungen“ des Waldes durch private Waldbesitzer finanziell angemessen zu honorieren. Einkommensminderungen durch verringerten Holzeinschlag können und sollten durch die Honorierung der Bereitstellung besonderer Gemeinwohlleistungen ausgeglichen werden.

Ebenfalls honoriert und gefördert werden sollte der (behutsame) „Umbau“ naturferner Alterklassenwälder zu zukunftsfähigen, naturnahen Laubmischwäldern.

7. Sind Bildungsangebote, Fachinformationen und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Wald und Holzproduktion ausreichend? Welche weiteren Maßnahmen und Inhalte wünschen Sie sich?

Eine Neuorientierung der Waldbewirtschaftung macht die interdiziplinäre Weiterbildung der Forstleute in Waldökologie und in naturschonenden Pflege- und Erntemethoden dringend erforderlich. Gleiches gilt für die Ausbildung des Forstnachwuchses. Zudem muss die forstliche Beratung entsprechend orientiert werden.

Der Wegfall der üblichen „Waldpflege“ in einer zukunftsgewandten naturnahen Waldbewirtschaftung wirkt  einerseits positiv in Bezug auf den zunehmenden Fachkräftemangel, andererseits können freiwerdende personelle Ressourcen verstärkt in den pädagogischen und umweltbildnerischen Bereich eingesetzt werden.

7. Wie bewerten Sie die zum Teil starke Beanspruchung vieler Wälder in Schleswig-Holstein durch Erholung, Sport und Tourismus? Welche Lösungsansätze sehen Sie?

Die starke Beanspruchung der Wälder Schleswig-Holsteins durch Erhohlungssuchende ist in erster Linie ein Beleg dafür, daß Schleswig-Holstein nicht genug Waldflächen besitzt (der Waldanteil von Schleswig-Holstein ist kleiner als der der Stadt Berlin!).

Insbesondere stadtnahe Wälder werden durch Erholungsuchende, durch Sport und (weniger) durch Tourismus frequentiert. Naturnaher Wald wird besonders gern aufgesucht. Die Menschen benutzen in aller Regel die Waldwege. Es zeigt die Bedeutung des gesunden, vitalen Waldes für viele Menschen als erholsamer Aufenthaltsraum. Waldbesuche durch die Bevölkerung sollten grundsätzlich nicht behindert werden. Nur wer den Wald kennt und wertschätzt wird sich für seinen Schutz einsetzen. Baumfällungen mit seinen Begleiterscheinungen (z.B. zerfahrene Wege und Rückeschneisen) werden von Waldbesuchern  nicht selten kritisiert.

Die Tiere des Waldes haben sich an die Menschen auf den Waldwegen – so lange mitgeführte Hunde an der Leine geführt werden – gewöhnt und werden selten gestört. Manche Hundebesitzer halten sich nicht an den Leinenzwang im Wald. Deshalb sollte besonders zu den Hauptbesuchszeiten (Ostern, Pfingsten) stärker ordnungsrechtlich eingegriffen werden.

Um störungsempfindliche Tiere (z.B. Seeadler, Schwarzstörche) vor Beunruhigung und Vertreibung durch Waldbesucher zu schützen, sollten die Waldbereiche in ausreichender Größe gesperrt werden. Durch Baumverhaue auf den Zugangswegen kann die Sperrwirkung faktisch erhöht werden.

Das Fluchtverhalten des Wildes resultiert in erster Linie aus der Bejagung. Sie muss deshalb so wenig störend und beunruhigend für das Wild durchgeführt werden – z.B. durch wenige Bewegungsjagden („Drückjagden“) im Jahr.

8. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen bei der Neuwaldbildung?

Die größte Herausforderung, weil hauptsächliches Hindernis, ist die mangelnde Flächenverfügbarkeit. Die Bereitschaft privater Eigentümer freiwillig Flächen zur Verfügung zu stellen oder selbst aufzuforsten resultiert aus der äußerst geringen Rentabilität. Ohne stärkere finanzielle Anreize des Staates wird sich an der Situation wenig ändern.

8. Was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um die Neuwaldbildung voranzutreiben?

Trotzdem wären auch größere Neuwaldbildung als bisher möglich, wenn die öffentlichen Landeigentümer und auch die Kirchen mit ihrem großem Landbesitz bereit wären, Flächen zur Verfügung zu stellen und Pflanzkosten zu übernehmen. Als Beispiel sei die Stadt Lübeck genannt, die auf insgesamt 100 ha in ihrem Eigentum im Rahmen ihrer Klimaschutzpolitik Neuwald schaffen will.

Staatlich honoriert werden sollte u.a. die langfristige Kohlenstoffspeicherung in Verbindung mit der Verpflichtung zur Entwicklung von naturnahem Neuwald. Ebenso sollte für jedes Bauvorhaben, das zu einer weiteren Flächenversiegelung ohne umfassende Begrünung der neuen Bauwerke führt, zwingend vorgeschrieben werden, in gleichem Umfang Neuwald anzulegen. Brachflächen sollten als sich natürlich wiederbewaldende Zukunftsstandorte von Wald erfasst werden.

Ihre Ansprechperson

Lutz Fähser


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Ihre Ansprechpartnerin

Bini Schlamann

Agrar und Biodiversität
E-Mail schreiben Mobil: 0176 60365296

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