Ökonomische und soziale Folgen

Ökonomische und soziale Folgen

Zersiedlung wirkt sich auch sozial aus

Neben Problemen für die Umwelt treten durch den Flächenverbrauch und im Speziellen durch die Zersiedlung – häufig durch neue Einfamilienhäuser – auf der Grünen Wiese auch erhebliche ökonomische und soziale Probleme auf, die erstmal nicht ersichtlich sind.

Infrastruktur

Durch die steigende Siedlungsfläche bei gleichbleibender oder schrumpfender Bevölkerungszahl steigen die Pro Kopf-Kosten für die technische und soziale Infrastruktur wie Kanalisationen, Leitungen und Straßen. Die Erschließungskosten der technischen Infrastruktur werden vor allem von der Siedlungsdichte bestimmt. Es gilt die Faustformel „halbe Dichte = doppelter Erschließungsaufwand“. Auch die Lage innerhalb der Kommune trägt zu den Kosten bei. In bereits erschlossenen Gebieten können vorhandene Infrastrukturen genutzt werden, während der Neubau auf der Grünen Wiese auch neue Infrastruktur bedeutet.

Für die Kosten sozialer Infrastruktur, wie Kindergärten, Schulen, Altenheimen und Krankenhäusern, ist vor allem die Lage innerhalb der Kommune, die Erreichbarkeit und die Auslastung ausschlaggebend. Die Möglichkeiten, soziale Infrastruktur nachfragegerecht anzupassen, sind in dünn besiedelten Gebieten schwierig, da z. B. die Erreichbarkeiten und Mindestgrößen der Einrichtungen einzuhalten sind. Vor allem in stagnierenden und schrumpfenden Regionen sinkt die Auslastung der Infrastruktur. In der Folge steigen die Unterhaltungskosten pro Einwohner*in. Außerdem müssen mobile Dienste wie Pflegekräfte oder „Essen auf Rädern“ länger zu ihren Kund*innen fahren. Kleine Schulen und Kitas sind schwieriger zu finanzieren und werden entsprechend kaum oder gar nicht angeboten. Wenn es sie doch gibt, werden sie aufgrund der geringen Auslastungen mit anderen Orten gemeinsam genutzt. Dadurch entstehen zusätzliche Wege, die der klimagerechten Mobilitätswende zuwiderlaufen.

Der ÖPNV ist entweder kaum vorhanden, oder wird nicht ausgelastet

Mobilität

Bewohner*innen neu erschlossener Wohngebiete, abseits des Zentrums und der Achsen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), legen deutlich weitere Entfernungen mit dem PKW zurück. Alltägliche Wege sind in zersiedelten Regionen weiter und werden weniger zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt. Die Alternative, diese Strecken durch den öffentlichen Verkehr zu bedienen, scheitert oft daran, dass Öffentlicher Nahverkehr nicht kostendeckend zu betreiben ist. Dadurch gibt es im ländlichen Raum häufig keinen oder schlecht getakteten Nahverkehr und Bewohner*innen bleiben auf das Auto angewiesen – der Anteil an Autos pro Haushalt ist dort am höchsten, wo die Besiedelungsdichte am geringsten ist.

Zersiedelte Gebiete haben eine geringe Dichte an Arbeitsplätzen – Menschen müssen immer weiter zu ihrer Arbeit fahren. Die Folge: Deutschland gibt im Jahr etwa fünf Milliarden Euro für die „Pendlerpauschale“ aus (Wirtschafts Woche, 2017). Gruppen, die das Auto nicht nutzen können, wie Kinder oder ältere Menschen, werden in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt. Autos sind, im Vergleich zum Monatsticket, teuer. Wenn ein Haushalt auf mindestens einen PKW angewiesen ist, kommen schnell einige hundert Euro zusammen. Ein Faktor, der selbst Familien aus der Mittelschicht belastet. Für Menschen mit weniger Einkommen oder Rentner*innen bedeutet dies aber, dass sie vom gemeinschaftlichen Leben ausgeschlossen werden.

Die Mobilität birgt ein Klimaschutzproblem in zersiedelten Gebieten. Menschen, die sich ein Niedrigenergiehaus im Außenbereich bauen und dadurch auf ein Auto angewiesen sind, können rechnerisch einen schlechteren ökologischen Fußabdruck haben als solche, die in einem älteren Haus im Ortskern wohnen und ohne PKW auskommen. Viele Bauwillige freuen sich über relativ günstige Bodenpreise im Grünen, beachten dabei aber kaum die entstehenden Mobilitätskosten. Zwar besteht ein Bewusstsein dafür, dass das Leben im Grünen einen finanziellen Mehraufwand für die eigene Mobilität bedeutet. Wie groß dieser Anteil jedoch tatsächlich ist, ist oft nicht bekannt. Tägliche Verkehrskosten für Fahrten mit dem Auto können mit zunehmender Entfernung zum Ortszentrum so stark steigen, dass die Kostenvorteile einer günstigen Immobilie in zentrumsferner Lage in vielen Fällen langfristig durch höhere Fahrkosten aufgewogen werden.

Bodenpreise

Häufig wird wertvolles Grün- und Ackerland geopfert, um die Siedlungsflächen auszuweiten. Der daraus resultierende Nutzungsdruck auf die Flächen steigert lokale Pacht- und Kaufpreise und intensiviert den Strukturwandel. Die verbleibenden Landwirtschaftsflächen müssen auch unter diesem Aspekt noch intensiver bewirtschaftet werden, um die gestiegenen finanziellen Belastungen wie Pacht und Grundsteuer erwirtschaften zu können.

Verödete Ortskerne, sind eine Auswirkung von starker Außenentwicklung  (Merbalge / Wikimedia Commons)

Lebensqualität und Wertverlust

Darüber hinaus hat die sinkende Dichte der Siedlungsbereiche drastische Folgen für die Lebensqualität der Einwohner*innen und den Wertverlust von Immobilien. Während auf der Wiese nun neue Einfamilienhäuser stehen, breiten sich in den Ortskernen – vor allem im ländlichen Raum – Leerstände in Zentrumslage aus. Altbauwohnungen oder Einfamilienhäuser der 60er- und 70er-Jahre verlieren weiter an Attraktivität und stehen, nachdem sie von der älteren Generation verlassen werden, häufig leer.

Dieses Überangebot an Wohnungen führt wiederum zu einem Wertverlust der Immobilien und kann für viele Menschen ein großes Problem für die Altersvorsorge darstellen. Diese Entwicklung betrifft auch den Einzelhandel. So veröden Ortszentren und verlieren ihre Versorgungsfunktion und ihre Rolle als sozialer Treffpunkt. Die Versorgung mit Dienstleistungen und Gütern des täglichen Bedarfs in Wohnungsnähe kann so nicht mehr gewährleistet werden. Voranschreitende Leerstände oder die Entstehung von Brachflächen können zu einem Teufelskreis führen. Wohlhabende Anwohner können sich einen Umzug leisten, sozial Benachteiligte müssen bleiben. Diese „Segregation“ genannte Entwicklung ehemals sozial durchmischter Quartiere ist dann, selbst mit hohen kommunalen Kostenaufwand, kaum wieder einzufangen.

Soziale Entmischung

Gemeindegebiete, die vorher idealerweise eine Durchmischung sozialer Schichten kennzeichnete, erleben durch die Abwanderung finanzkräftiger Einwohner*innen in den „grünen“ Speckgürtel und den oft auf die Einfamilienhaussiedlungen beschränkten Zuzug neuer Bewohner*innen eine zunehmende Isolation. In den immer mehr verarmenden, günstigen Ortskernen leben dann lediglich Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt – meist aus finanziellen Gründen, aber auch als Folge von Diskriminierung – keine Alternativen sehen. Dies trifft oft ältere Klientele und Menschen mit Migrationsgeschichte.

Eine zunehmende soziale Entmischung ist die Folge, die auch soziale Spannungen verstärken kann. Dieser Effekt wird durch die steigenden Bodenpreise aufgrund immer weniger verfügbarer Fläche noch weiter verstärkt. In Gemeindeteilen, die von Leerstand betroffen sind, verstärken sich dann Effekte, die das Wohnumfeld noch unattraktiver machen („Broken-Windows Phänomen“). Gerade im ländlichen Raum ist es wichtig, sich auch auf die Bedarfe nach bezahlbarem Mietwohnraum in Mehrfamilienhäusern einzustellen. Wirtschaftliche Bauformen hin zu Mehrfamilien- und Zeilenbebauung sind zu entwickeln. Eine Tradition, die wir, anders als in Mitteldeutschland, in den Dörfern Schleswig-Holsteins bisher kaum kennen.

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